Heinz Erhardt legt den Kopf schräg, lächelt sein Schelmenlächeln und droht mit dem Zeigefinger: „Don’t do Graffiti“ steht in mahnenden Blockbuchstaben darunter. Michael Zachcial hat das Wandkunstwerk in irgendeinem Bremer Winkel fotografiert, jetzt ist es mit gut 200 ausgewählten anderen Streetart-Repros in der hiesigen Stadtbibliothek zu sehen. Für das Projekt „Narrenhände“ hat Zachcial systematisch ganze Stadtteile abgeklappert und etwa 1.000 „Zeichen“ dokumentiert.
Das Interessante an Zachcials Konzept ist, dass er die Ergebnisse seiner aktuellen Bremer Streetart-Empirie mit zahlreichen Referenzen bis hin zu Rembrandts „Gastmahl des Belsazar“ verzahnt. Dem babylonischen König wurde angst und bang, als in seinem Palast wie von Geisterhand plötzlich ein nicht zu entziffernder Schriftzug auftauchte. Zachcial sieht „Smash Nato“ oder „Stasi 2.0“-Stencils – per Schablonen-Produktion überall präsent und von größerer Eindeutigkeit geprägt – als legitime Nachfolger der Belsazar’schen Schreckensworte.
Zwischen diesen zeitlichen Polen spannt sich ein ganzes Message-Universum: Mit Händels „Belsazar“-Oratorium, dessen Plakate 1744 von der Londoner Oberschicht wutentbrannt entfernt wurden und Verdis „Nabucco“ über die babylonische Gefangenschaft des jüdischen Volkes schafft Zachcial den Sprung vom Bild zum Ton – und wiederum einen Zeitsprung: Auch Bob Marley setzte sich mit dem „Babylon System“ als „Vampire“ auseinander. „Me say: de Babylon System is the vampire, falling empire“. Das entsprechende Bild hat Zachcials Team in einem Hinterhof Am Deichfleet gefunden: eine wild kolorierte Soldateska, die ihre Maschinengewehre in Anschlag bringt.
Nun wäre es verkehrt, Streetart ausschließlich als anonyme Warn- und Droh-Messages an die „Obrigkeit“ zu begreifen. Der Brill-Tunnel etwa ist eine einzige großformatige Wandzeitung, vor allem mit Mitteilungen der Kategorie „x liebt y“ – samt Korrekturen. Auch solche Formen der Alltags-Kommunikation untersucht die Ausstellung nach ihrem ästhetischen und kommunikativen Gehalt. Zachcial, der mit „Zaches & Zinnober“ auftritt und als „Grenzgänger“ etliche Preise der Deutschen Schallplattenkritik eingefahren hat, suchte sogar in Schulen und Kindergärten nach entsprechendem „authentischem“ Material.
Dort sang er den Kindern zunächst sein Anti-Abzocklied vom „Mann in der Werbung“ vor – und stellte dann selbst das Tonbandgerät an. Dabei „erntete“ er Abzählreime und Witze, bei denen vornehmlich „die Türken“ rausflogen – vorgetragen von türkischstämmigen Kindern – oder Sprüche wie „eine kleine Mickey Mouse, ging ins Rathaus, Rathaus brannte, Mickey Mouse rannte“ und so weiter.
Zachcials Projekt, das er mit Unterstützung der Bremer Arbeitnehmerkammer realisierte, ist eine groß angelegte, zum Teil gewagte Montage, die zu spannenden Brückenschlägen verleitet.
HENNING BLEYL , taz , 30. März 2009 (Ausstellung: Bis 14. April 2009, Stadtbibliothek am Wall)